








“Eine Frau, graues Haar, grau-blaue Kleidung, leerer, aber entschlossener Blick, schiebt einen Rollator mit ungewöhnlicher Fracht vor sich her: Die Frau steuert beladen mit einem Benzinkanister auf einen losen Haufen Bücher zu, der von Flammen bedroht wird. Das Environment von Marie-Claire Krell lässt aufhorchen: Szenen brennender Bücher haben sich in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingeschrieben. Vor 90 Jahren brannten in rund zwanzig Städten Bücher jüdischer, linker, queerer und anderer von den NationalsozialistInnen verfolgter AutorInnen. Die alte Frau könnte qua angedeutetem Alter als Kind Zeugin dieses Geschehens gewesen sein. Jetzt schauen wir als BetrachterInnen zu. Doch es gibt noch weitere ZuschauerInnen. Oder sind es ProtagonistInnen? Wie in einem Comic-Strip nutzt Marie-Claire Krell den Treppenturm für die Entwicklung ihrer verrätselten Geschichte: Am oberen Treppenabsatz stehen zwei Mädchen: lange blonde Zöpfe, unschuldig weiße Kleider, die Hände unbeteiligt hinter dem Rücken verschränkt. Die beiden Mädchen, von MC Krell als „Moiren“ betitelt, sind als solche gar nicht so teilnahmslos, wie ihre Haltung es vorgibt. Moiren sind in der griechischen Mythologie Schicksalsgöttinnen. Im Singular „Moira“ meint der Begriff Schicksal im Allgemeinen. Doch lenken die beiden Moiren nicht den Verlauf der Geschichte, vielmehr werden sie gelenkt von der Stimme des alten Mannes im Raum darüber. Er spricht in das Mikrofon, das mit den Kopfhörern, die die beiden Mädchen tragen, verbunden ist. Wiederum im Stockwerk darüber schwebt ein roter Luftballon an der Decke. Im selben Raum sucht eine Fliege beharrlich surrend den Ausgang aus dem Raum. Das Verbrennen von Büchern ist nicht erst durch den NS ein Zeichen von Auslöschung unliebsamer Gedanken und Vernichtung von Wissen. Schon in den Jahrhunderten davor wurde davon zu politischen Zwecken Gebrauch gemacht und auch in der Gegenwart setzen Radikale mit in Flammen aufgehenden Büchern Zeichen und demonstrieren ihre scheinbare Überlegenheit. Die im Ludwigsturm über mehrere Etagen entwickelte Geschichte fragt genau nach denjenigen, die Macht manifestieren und Überlegenheit gegenüber anderen beanspruchen. Sie fragt nach den DrahtzieherInnen, den ideologischen BrandstifterInnen, nach Beteiligung und Widerstand. Und fragt auch uns als BetrachterInnen, ob wir nur zuschauen oder eingreifen.”
A woman, gray hair, gray-blue clothing, empty but determined gaze, pushes a walker with unusual cargo in front of her: the woman, loaded with a gasoline can, heads for a loose pile of books threatened by flames. Marie-Claire Krell's environment makes us sit up and take notice: scenes of burning books have inscribed themselves in Germany's collective memory. Ninety years ago, books by Jewish, leftist, queer, and other authors persecuted by the National Socialists burned in about twenty cities. The old woman could have been a witness to these events, given her age as a child. Now we are watching as viewers. But there are other spectators. Or are they protagonists? As in a comic strip, MC Krell uses the staircase tower for the development of her enigmatic story: two girls stand at the top of the stairs: long blond braids, innocent white dresses, their hands clasped behind their backs, unconcerned. The two girls, dubbed "Moiren" by MC Krell, are as such not at all as apathetic as their attitude suggests. In Greek mythology, Moirai are the goddesses of fate. The term Moira in singular means fate in general. But the two Moiren do not direct the course of the story; rather, they are directed by the voice of the old man in the room above. He speaks into the microphone connected to the headphones the two girls wear. Again, on the floor above, a red balloon floats on the ceiling. In the same room, a fly persistently buzzes, seeking an exit from the room. The burning of books is a sign of the eradication of disagreeable thoughts and the destruction of knowledge, and not just since the Nazis. In the centuries before that, it was already used for political purposes, and in the present day, too, radicals use burning books to make a statement and demonstrate their apparent superiority. The story developed over several floors in the Ludwigsturm asks precisely who manifests power and claims superiority over others. It asks about the masterminds, the ideological incendiaries, about participation and resistance. And also asks us as viewers whether we are just watching or intervening.
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